Die Polizei durfte ein Fahrzeug nach einem gefährlichen Überholmanöver aufgrund der besonderen Umstände des Falles zur Gefahrenabwehr sicherstellen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem Eilverfahren, mit dem es die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße bestätigte.
Im April 2023 befuhr der Ehemann der Antragstellerin mit deren Pkw – einem Porsche – aus Richtung Speyer kommend die Bundesstraße 39 zwischen Dudenhofen und Hanhofen. In der Gegenrichtung war ein Funkstreifenwagen unterwegs. Die Polizeibeamten beobachteten, wie das hinterste der fünf ihnen entgegenkommenden Fahrzeuge – der betreffende Porsche – zunächst einen vor ihm fahrenden schwarzen Pkw überholte und danach nicht wieder einscherte, obwohl er nur noch ca. 200 bis 250 m von ihrem Fahrzeug entfernt war. Vielmehr fuhr er mit gleichbleibend hoher Geschwindigkeit auch an einem zweiten Fahrzeug, einem weißen Kastenwagen, vorbei. Um eine Frontalkollision zu vermeiden, bremste der Fahrer des Funkstreifenwagens bis zum Stillstand ab und lenkte das Auto nach rechts an den Fahrbahnrand, um Platz zu schaffen. Der Porsche fuhr währenddessen an dem Kastenwagen vorbei und wechselte etwa 15 m vor dem bereits stehenden Funkstreifenwagen zurück auf die eigene Fahrbahn Richtung Hanhofen. Beim Wiedereinscheren mussten der schwarze sowie der weiße Wagen ebenfalls bremsen, um eine Kollision zu vermeiden und Platz zu machen. Noch während des Passierens des Funkstreifenwagens startete der Fahrer erneut einen Überholvorgang und überholte einen dritten Pkw. Die an dem Vorfall beteiligten Polizeibeamten nahmen unter Einsatz von Blaulicht und Martinshorn die Verfolgung des Fahrers auf und stellten im Anschluss an dessen Kontrolle den Porsche zur Gefahrenabwehr sicher. Weiter wurde ihm die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme des Führerscheins eröffnet.
Gegen die Sicherstellung legte die Antragstellerin Widerspruch ein und suchte um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach, den das Verwaltungsgericht mit der Begründung ablehnte, die Sicherstellung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Nach § 22 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Diese Voraussetzungen seien gegeben gewesen, denn im Zeitpunkt der Sicherstellung hätten ausreichende Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass der Ehemann der Antragstellerin mit dem auf sie zugelassenen und ausschließlich von ihm gefahrenen Sportwagen in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Verkehrsverstöße begehen werde. (vgl. Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße Nr. 14/2023). Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde der Antragstellerin wies das Oberverwaltungsgericht zurück.
Es teile auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren die Auffassung der Vorinstanz, die Aussagen der beiden an dem Vorfall beteiligten Polizeibeamten sowie der weiteren Zeugen ließen alleine den Schluss zu, dass der Ehemann der Antragstellerin bei seinem Überholvorgang zwischen Dudenhofen und Hanhofen rücksichtslos und grob verkehrswidrig gehandelt und damit die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt habe. Der Ansicht der Antragstellerin, eine Gefahrensituation habe bei Erlass der Sicherstellungsanordnung deshalb nicht bestanden, weil ihrem Ehemann zu diesem Zeitpunkt die Fahrerlaubnis bereits vorläufig entzogen worden sei, könne nicht gefolgt werden. Zwar bestehe kein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach ein von der Polizei ertappter „Verkehrssünder“ sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten und Punkten unbeeindruckt bleibe. Einen solchen habe aber das Verwaltungsgericht nicht angenommen, sondern auf die besonderen Umstände des Einzelfalls und hierbei auf das konkrete Verhalten des Ehemanns der Antragstellerin abgestellt. Dabei sei es zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die handelnden Polizeibeamten im vorliegenden Ausnamefall aufgrund seines Verhaltens davon ausgehen durften, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht ausreiche, um einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch weitere erhebliche Verkehrsverstöße des Ehemanns mittels des von ihm geführten Fahrzeugs, Typ Porsche, zu begegnen. Denn dieser habe sich von seinem grob verkehrswidrigen, mehrere Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdenden Verhalten völlig unbeeindruckt gezeigt. Er habe trotz der ihm von den handelnden Polizeibeamten vor Augen geführten Gefährlichkeit seines Überholmanövers jedwede Einsicht vermissen lassen. So habe er ausweislich der Sachverhaltsdarstellung der Polizeibeamten gegenüber diesen angegeben, der ihm aufgrund des Überholmanövers eröffnete Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs wegen groben Fehlverhaltens beim Überholen sei lächerlich. Es sei schließlich nichts passiert. Diese Interpretation der Geschehnisse lasse völlig außer Acht, dass sein äußerst gefährlicher Überholvorgang augenscheinlich nur deshalb keine Kollision mit den übrigen Verkehrsteilnehmern zur Folge gehabt habe, weil sowohl der Polizeibeamte als auch die beiden Zeugen diese durch geistesgegenwärtiges Abbremsen bzw. Ausweichmanöver verhindert hätten. Das fehlende Einsichtsvermögen des Ehemanns der Antragstellerin werde noch unterstrichen durch seine weitere Angabe gegenüber den Polizeibeamten, er habe bereits zwei Millionen Kilometer Fahrstrecke ohne Zwischenfälle absolviert, sodass ein Fehler seinerseits völlig ausgeschlossen sei. Dies gelte umso mehr, als sein Verkehrsverhalten in der Vergangenheit nicht ohne weiteres als „ohne Zwischenfälle“ zu bezeichnen sei. Vielmehr sei gegen ihn jedenfalls wegen Nötigung und Beleidigung im Straßenverkehr ermittelt worden, wobei dieses Verfahren zum Zeitpunkt der Anordnung der streitgegenständlichen Sicherstellung noch nicht abgeschlossen gewesen sei.
Beschluss vom 29. August 2023, Aktenzeichen: 7 B 10593/23.OVG