| Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz

Wunsch nach Beschulung an einer Montessori-Grundschule kann einen Anspruch auf Zuweisung an eine „Wunschschule“ außerhalb des festgelegten Schulbezirks begründen

Pressemitteilung Nr. 8/2023

Die Eltern eines Kindes, das zum kommenden Schuljahr 2023/2024 eingeschult wird, waren in einem Eilverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz mit ihrem Antrag auf Zuweisung an ihre „Wunschschule“ (eine Montessori-Grundschule) erfolgreich. Sie hätten einen wichtigen Grund für die Zuweisung an eine andere als die nach den festgelegten Schulbezirken für das Kind eigentlich zustände Grundschule glaubhaft gemacht und deshalb auch einen entsprechenden Anspruch. Das Oberverwaltungsgericht ordnete daher, anders als noch das Verwaltungsgericht Koblenz, vorbehaltlich des Einverständnisses des dortigen Schulleiters die vorläufige Zuweisung an die „Wunschschule“ an.

Die Eltern hatten u.a. geltend gemacht, sie wünschten für ihr Kind, wie schon zuvor für die beiden älteren Geschwister, die Beschulung nach dem „pädagogischen Konzept nach Montessori“ an einer nur ca. 3 Kilometer von der eigentlich zuständigen Grundschule entfernt liegenden Montessori-Grundschule. Das Verwaltungsgericht lehnte die begehrte einstweilige Anordnung ab und bestätigte die Auffas­sung der Behörde, wonach die pädagogische Ausrichtung nach dem Montessori-Konzept keinen wichtigen Grund für eine Zuweisung an eine nach den festgelegten Schulbezirken unzuständige Grundschule darstelle. Ein besonderer pädagogischer Förderbedarf des Kindes, der nur an der Wunschschule erfüllt werden könne, sei nicht ersichtlich. Die hiergegen gerichte­te Beschwerde war vor dem Ober­verwaltungsgericht erfolgreich.

Ein wichtiger Grund für die Zuweisung an eine andere Grundschule auf Antrag der Eltern liege dann vor, wenn es nach der individuellen Situation des be­troffenen Schülers und seiner Eltern als nicht gerechtfertigt erscheine, dass sie die (für sie nachteiligen) Folgen hinnehmen müssten, die mit der sich aus der Fest­legung von Schulbezirken ergeben­den Pflicht, eine bestimmte Grund­schule zu besuchen, einhergingen. Diese nachteili­gen Folgen müssten zugleich von einigem Gewicht sein, und eine unbillige Belastung darstellen, die über bloße Unannehmlichkeiten hinausgingen, um das öffentliche Interesse an einer Ver­teilung der Schüler durch Einhaltung der Schulbezirke zu über­wiegen, und die auch nicht regelmäßig von einer Vielzahl von Schülern geltend gemacht werden könnten. Bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „wichtigen Grundes" in § 62 Abs. 2 Satz 3 des Schulgesetzes und der Bestimmung dessen, wann und ob ein solcher nach den Umständen des konkreten Einzelfalls vorliege, sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Festlegung von Schulbezirken in Ausgestaltung des staatlichen Erziehungs­auf­trags aus Art. 7 Grundgesetz zwar im Grundsatz aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sei. Angesichts des damit im Einzel­fall allerdings mög­licher­weise einhergehenden Eingriffs in das Recht auf die freie Wahl der Aus­bildungsstätte aus Art. 12 Grundgesetz und das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz sei die Ausnahmevor­schrift des § 62 Abs. 2 Satz 3 Schulgesetz auch und nicht zuletzt im Lichte dieser verfassungsrecht­lichen Garantien auszulegen und die genannten Verfassungsgüter bei der Anwendung der Ausnahmevorschrift im Einzelfall zum Ausgleich zu bringen. Die Ablehnung des Zuweisungsantrags an die „Wunschschule“ sei vor dem Hintergrund dieses verfassungsrechtlichen Spannungsfeldes zu messen. Der Begriff des „wichtigen Grundes“ umfasse danach sowohl soziale wie pädagogische Gründe von einigem Gewicht. Nicht jeder Unterschied in der pädagogischen Aus­richtung des Unterrichts an einer einzelnen Schule stelle zugleich einen wichtigen (pädagogischen) Grund dar. Würden die nach der Festlegung der Schul­bezirke zuständige Schule und die „Wunsch­schule“ aufgrund ihres pädagogischen Profils allerdings über den üblichen pädagogi­schen Gestal­tungs­spielraum, den die Lehrpläne gewähren, hinaus im Sinne einer speziellen Profilbildung voneinander abweichen, sei dies für die Beurteilung des Vorliegens eines „wichtigen Grundes“ angesichts der verfassungsrechtlichen Vorprägung der Aus­nahme­bestimmung des § 62 Abs. 2 Satz 3 Schulgesetz von besonderem Belang. Das Unterrichtskonzept der Montessori-Schulen sei als eine in diesem Sinne besondere pädagogische Profilbildung mit einem besonderen Pädagogi­schen Schwerpunkt im schulischen Angebot zu begreifen. Eines speziellen Förder­bedarfs des betroffenen Schülers bedürfe es nicht. Dieses Erfordernis könne § 62 Abs. 2 Satz 3 Schulgesetz nicht entnommen werden. Es könnten daher grundsätzlich nur gegenläufige öffentliche Interessen von mindestens vergleichbarem Gewicht, die also den pädagogischen Wünschen und Überzeugungen der Eltern zumindest die Waage hielten, geeignet sein, im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung den Antrag abzulehnen. Solche habe die Behörde im vorliegenden Fall allerdings nicht geltend gemacht.

Ergänzende Information:

§ 62 Absatz 2 des rheinland-pfälzischen Schulgesetzes:

„Schülerinnen und Schüler der Grundschulen besuchen die Schule, in deren Schulbezirk sie wohnen. Gleiches gilt für den Standort einer Grundschule. Aus wichtigem Grund kann die Schulleiterin oder der Schulleiter auf Antrag der Eltern eine Schülerin oder einen Schüler an einem anderen Standort aufnehmen oder im Einvernehmen mit der Schulleiterin oder dem Schulleiter der aufnehmenden Schule einer anderen Grundschule zuweisen. Die Schulbehörde kann aus wichtigem pädagogischen oder organisatorischen Grund Zuweisungen vornehmen.“

Beschluss vom 26. Juni 2023, Aktenzeichen: 2 B 10435/23.OVG

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